Jahresrückblick 2004

Ein Jahr der Extreme

Das Football-Jahr 2004 war in mancher Hinsicht ein Jahr der Extreme. Zum Beispiel in der NFL. Was sich dort in der Regular Season, also den Punktspielen, tat, widersprach völlig dem Bild größtmöglicher Ausgeglichenheit, das die Liga für gewöhnlich bietet. Es gab ein deutliches Gefälle zwischen einer kleinen Anzahl von Top-Teams und der Masse der Teams. Pittsburgh Steelers, New England Patriots und Philadelphia Eagles waren kaum einmal zu bezwingen. Daneben gab es zwei bis drei Teams - San Diego Chargers, New York Jets und Atlanta Falcons - die immer noch deutlich über dem Durchschnitt lagen. Aber 19 der 32 Teams erreichten nicht einmal eine positive Bilanz. Entsprechend waren fast alle Playoff-Plätze schon vor dem letzten Spieltag vergeben. Beinahe wären sogar erstmals in einer vollen Saison Teams mit negativer Regular-Season-Bilanz in die Playoffs eingezogen. Ironie der Geschichte: In der ersten Playoff-Runde sorgten dann ausgerechnet die beiden Teams mit nur ausgeglichener Bilanz (8-8), die St. Louis Rams und Minnesota Vikings, für ein Novum. Zum ersten Mal gewannen Teams ohne positive Punktspiel-Bilanz ein Playoff-Spiel - die Rams bei den Seattle Seahawks (27:20) und die Vikings bei den Green Bay Packers (31:17).

Dass die Patriots und Eagles in ihren Conferences an der Spitze mitmischen würden, war keine Überraschung. Beide Teams galten galten in "ihrer Hälfte" der NFL als die Top-Favoriten auf das Erreichen des Super Bowls. Und beide beweisen seit ein paar Jahren, dass man sich auch in den Zeiten von Free Agency und Salary Cap und der dadurch größeren Spielerfluktuation über mehrere Jahre konstant an der Spitze halten kann.

Überraschend war dagegen das Abschneiden der Steelers, vor allem aber das der Chargers. Die Steelers warfen einen "Rookie", einen NFL-Neuling, auf der Quarterback-Position ins kalte Wasser, und der erwies sich als das offensichtliche "Missing Link" in einem ansonsten personell für höhere Ziele gut genug besetztem Team. Ben Roethlisberger eroberte die Liga im Sturm wie einst Dan Marino in seinen Anfangsjahren. Ein Grund für den umgehenden Erfolg von Roethlisberger war vielleicht, dass er bei den Steelers in einen relativ unaufgeregtem Umfeld spielt, in dem um den Jung-Spielmacher weniger Wirbel gemacht wird als anderswo (Beispiel Eli Manning bei den New York Giants). Den Erfolg der Chargers hatte man so vor der Saison nicht vorhersehen können, aber bereits nach den ersten Wochen konnte man schon erkennen, dass sich das im Verborgenen etwas - positiv - zusammenbraut.

Rick Lantz

 

Kent Anderson

 

Deion Branch

 

Ein wenig erinnerte die Entwicklung bei den Chargers an die Art, wie die Patriots in den letzten Jahren zum Spitzen-Team wurden: keine spektakulären Neuverpflichtungen, sondern eher namenlose Neue, die aber ins Teamgefüge passten, ein Star (RB LaDainian Tomlinson), der gar keiner sein wollte, ein Quarterback (Drew Brees), den keiner groß auf der Rechnung hatte, der aber dennoch stark spielte, und ein Head Coach, der den Erfolg der Mannschaft öffentlich eher herunterspielte. Schade nur für die Überraschungsmannschaft dieser Saison, dass sie den Regular-Season-Erfolg in den Playoffs dann nicht bestätigen konnte (17:20 nach Verlängerung gegen die New York Jets in der ersten Runde).

Ab der zweiten Playoff-Runde bis hin zum Super Bowl lief dann fast alles nach Plan. In allen Spielen siegten die zuvor favorisierten Teams. Ein wenig neben sich standen ausgerechnet zum Saisonhöhepunkt die Pittsburgh Steelers, bei denen QB Ben Roethlisberger dann doch, wie von vielen schon früher erwartet, das bei NFL-Neulingen übliche Lehrgeld zahlte. In den Divisional Playoffs kamen sie gegen die New York Jets mit einer großen Portion Glück noch mit dem Schrecken davon (20:17 nach Verlängerung), im AFC Championship Game, in dem sie zwar Heimrecht hatten, aber trotzdem nicht Favorit waren, zogen sie gegen Titelverteidiger New England Patriots dann aber klar den Kürzeren (27:41). Die Patriots ihrerseits hatten in ihrer ersten Playoff-Begegnung den hochgelobten Angriff der Indianapolis Colts um Quarterback-Star Peyton Manning völlig an die Kette gelegt und das Spiel am Ende souverän mit 20:3 gewonnen. In der NFC erwiesen sich erwartungsgemäß die Philadelphia Eagles als die Nummer eins. Die Playoffs waren hier ein Spiegelbild der Regular Season: Die Eagles versprühten wenig Glanz, aber der leistungsmäßige Abstand zwischen ihnen und dem Rest der Conference war hier deutlich größer als es der Abstand zwischen Patriots, Steelers und Colts auf der einen und dem Rest in der AFC war. So zogen die Eagles mit unspektakulären "Pflichtsiegen" (27:14 gegen Minnesota und 27:10 gegen Atlanta) in den Super Bowl ein.

In Jacksonville sicherten sich die Patriots dann ihren Platz in der Riege der ganz großen Teams der NFL-Geschichte. Mit einem 24:21 gegen die Eagles feierten sie den dritten Super-Bowl-Erfolg innerhalb von vier Spielzeiten. So etwas hatte bislang nur eine Mannschaft, die Dallas Cowboys in den Jahren 1992, 1993 und 1995, geschafft. Das Spiel war einerseits anders gelaufen als von vielen erwartet, andererseits war das auch nicht überraschend. Viele Fachleute hatten einen klaren Sieg der Patriots prognostiziert und hatten dabei sowohl die Qualität der Eagles-Abwehr übersehen (ohne diese wären die Eagles nie bis nach Jacksonville gekommen) als auch den Umstand ausgeblendet, dass die Patriots in ihren Spielen nur selten einmal klare Vorsprünge herausarbeiten. So hatten die Eagles gegen die in der ersten Halbzeit schwächelnden Patriots ihre Chance, gingen sogar mit 7:0 in Führung, und hätten sie sich nicht einige Minuten zuvor eine Interception an New Englands 3-Yard-Linie geleistet, wer weiß, wie das Spiel bei einer 10:0- oder gar 14:0-Führung der Eagles weiter verlaufen wäre. Dass es am Ende doch nicht zur Überraschung reichte, lag daran, dass QB Donovan McNabb wieder einmal in einem ganz wichtigen Spiel der Herausforderung nicht gewachsen war und auch der Rest des Angriffs (kein vernünftiges Laufspiel, nur mittelmäßige Receiver) nicht das Format eines Champions hatte. Die Patriots dagegen hatten mit QB Tom Brady, der mit Ausnahme eines Fumbles kurz vor Philadelphias Endzone gewohnt fehlerfrei spielte, sowie WR Deion Branch (stellte mit elf Fängen den Super-Bowl-Rekord von Jerry Rice und Dan Ross ein und wurde zum MVP des Spiels gewählt) und RB Corey Dillon die besseren Akteure auf den so genannten "Skill Positions" und erspielten sich mit einer Steigerung in der zweiten Halbzeit eine 24:14-Führung. Der dritte Touchdown der Eagles knapp zwei Minuten vor Spielende kam dann zu spät.

Auch in der NFL Europe gab es eine klare Zweiteilung. Berlin Thunder und Frankfurt Galaxy waren schon frühzeitig auf World-Bowl-Kurs, das letzte bisschen Spannung war nur dem Umstand geschuldet, dass in einer Liga mit nur zehn Spieltagen rechnerisch lange noch etwas für die anderen, eigentlich klar schwächeren Teams geht. Letztlich war es das Jahr der Berliner. Mit neuem Head Coach (Rick Lantz) und guten NFL-Leihgaben wie QB Rohan Davey, WR Chas Gessner oder RB Eric McCoo war Thunder nahezu unschlagbar. Am Ende fehlten zwei Pünktchen an der ersten "Perfect Season" der NFL-Europer-Geschichte. Die einzige Niederlage war ein 27:28 ausgerechnet beim Liga-Neuling Cologne Centurions, der auch noch vom ehemaligen Thunder-Coach Peter Vaas betreut wird. Das Finale in der Arena AufSchalke in Gelsenkirchen am 12. Juni endete dann genauso wie die beiden Punktspiele zwischen Thunder und Galaxy - mit einem Sieg für Thunder (30:24), das damit zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren den World Bowl gewann. Aber nicht nur sportlich hatte man bei Thunder Grund zum Jubeln. Zwar lag man in Sachen Zuschauerzuspruch mit knapp 15.000 Besuchern pro Heimspiel immer noch hinter der Galaxy (etwa über 26.000) und Rhein Fire (etwas über 21.000), verzeichnete aber einen Zuwachs um mehr als 20 Prozent.

Mit eher gemischten Gefühlen konnte man andere Entwicklungen in der NFL Europe betrachten. Wie bereits erwähnt, trat mit den Cologne Centurions ein neues Team an. Für die hatte im Jahr zuvor aber eines der drei europäischen Urgesteine der Liga Platz, die Barcelona Dragons, machen müssen. In diesem Jahr ging dieser Prozess der "Bereinigung" der Liga, das heißt der Schließung von Standorten, an denen man nicht den einst erhofften Erfolg hatte (begonnen hatte dieser Prozess mit der Schließung der London Monarchs beziehungseise der Verlagerung der Franchise von London nach Berlin im Jahre 1998), weiter. Die Scottish Claymores, sportlich in den letzten Jahren erfolglos und in der Saison 2004 mit nicht einmal mehr 10.000 Zuschauern pro Heimspiel auch in diesem Punkt Schlusslicht, wurden dicht gemacht und ein fünftes deutsches Team, die Hamburg Sea Devils, eröffnet.

In der GFL meldet sich unter der Leitung von Coach Kent Anderson ein Team ganz vorn zurück, dass in der zweiten Hälfte der 80er Jahre und der ersten Hälfte der 90er das Top-Team der Bundesliga gewesen war: die Berlin Adler. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und mit neu "eingeflogenem" Quarterback (David Caudill) holten sich die Berliner in den Punktspielen Platz zwei in der Nord-Gruppe hinter den Braunschweig Lions. In den Playoffs schalteten die Adler, angetrieben von Caudill und "Mehrzweckwaffe" Estrus Crayton, dann zunächst die Stuutgart Scorpions aus (42:17) und anschließend den überraschenden Süd-Meister Marburg Mercanaries (37:7). Im Finale in Braunschweig in Braunschweig nahmen die Berliner dann Revanche für die beiden knappen Punktspiel-Niederlagen gegen die Lions. Dieses Mal behielten sie knapp die Oberhand, mit 10:7. In einem Spiel, in dem, wie es das Ergebnis andeutet, Abwehr Trumpf war, überschlugen sich erst spät die Ereignisse. Ein 34-Meter-Pass von QB Adrian Rainbow auf WR Kelvin Love hatte die Lions in Führung gebracht, die Adler hatten, besonnen und ohne angesichts der wenigen verbliebenen Spielzeit die Nerven zu verlieren, durch Estrus Crayton (12-Meter Pass von Caudill) den Ausgleich geschafft. "Verrückt" wurde es, als die Adler danach den Ball beim Kickoff flach schossen und die Lions so in der Berliner Hälfte in Ballbesitz kamen. Wenig später, knapp zwei Minuten vor Spielende, verlor aber RB Kim Kuci nach gefangenem Pass beim Tackle den Ball. Im Anschluss daran arbeiteten sich die Adler nah genug für einen Field-Goal-Versuch an die Braunschweiger Endzone heran. 20 Sekunden vor Schluss schoss Benjamin Scharweit die Adler aus 33 Yards Entfernung zum Titelgewinn. Traurige Randnotiz aus Sicht der Lions: Sie verloren zum fünften Mal in Folge das deutsche Finale.

Im College Football setzte sich am Ende USC durch. Der "halbe" Meister der Saison 2003 (man musste sich den Titel damals mit LSU teilen) schlug im - inoffiziellen - Finale im Orange Bowl Oklahoma klar mit 55:19, begünstigt durch eine desoltate Vorstellung des Gegners, der mit Ballverlusten die unfreiwillige Vorarbeit zu 31 Punkten der Trojans, auch zu den wichtigen Touchdowns zum 14:7, 21:7 und 28:7, leistete. Verbunden war aber auch der Ausgang dieser Saison mal wieder mit Ärger, der aus dem Dauer-Thema fehlender Playoffs resultierte. Am Ende der Regular Season hatten drei ungeschlagene Teams - neben USC (1.) und Oklahoma (2.) noch Auburn - auf den ersten drei Plätzen sowohl der beiden Umfrage-Ranglisten von AP (unter Journalisten) und USA Today (unter Head Coaches) als auch der für die Vergabe der beiden Endspielplätze maßgeblichen Computer-Rangliste der Bowl Championship Series gelegen. Das Auburn als Champion der stärksten der regionalen Ligen (Conferences), der SEC, nicht einmal die Chance hatte, um den Titel zu spielen, sorgte natürlich für Ärger und ließ den Ruf nach der Einführung von Playoffs noch ein wenig lauter werden. Zum Verhängnis wurde Auburn, dass es zu Beginn der Saison, also in den Preseason Top 25, nur auf Platz 17 gelegen hatte, USC und Oklahoma dort aber die Plätze eins und zwei belegten. Das hatte zur Folge, dass Auburn, so lange USC und Oklahoma ebenfalls gewannen, keine Chance hatte, an diesen vorbeizukommen, ganz gleich wie stark man spielte. Abgerundet wurde die Saison für USC im Übrigen durch den Gewinn der wichtigsten Einzelauszeichnung, der Heisman Trophy für den MVP der Saison, durch QB Matt Leinart.

 

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